Drei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde der Staat Israel gegründet. Und noch einmal drei Jahre später, 1951, betraten die ersten jüdischen Waisenkinder die neu errichteten Klassenzimmer in Kiriat Yearim. Ehemalige SHEK-Verantwortliche (Schweizer Hilfswerk für Emigrantenkinder) – Christen und Juden – gründen in Israel das Kinderdorf Kiriat Yearim für Kinder und Jugendliche, die den Holocaust überlebt haben, und rufen in der Schweiz den Verein «Freunde des Schweizer Kinderdorfs Kiriat Yearim» ins Leben.
In der Frühzeit des Dorfes lebten hier 60 Kinder. In einer Zeit, als das Kilo Brot noch 40 Rappen kostete, hatten 100’000 Franken im Jahr genügt, um den Betrieb in Kiriat Yearim aufrecht zu erhalten.
1952 heisst es im Jahresbericht: «Bereits 94 Kisten haben wir nach Israel geschickt seit Beginn unserer Tätigkeit. 6’600 Kilogramm Lebensmittel, Textilien, Schulmaterial, Bücher, Medikamente, vier Handwebstühle und zehn Nähmaschinen.»
In den ersten Jahren bestand Kiriat Yearim aus wenig mehr als zwei Gebäuden, einem mit Schlafsälen, einem mit Schulzimmern. Mit der Zeit jedoch ist die Anlage zum Dorf geworden. Ende der fünfziger Jahre wuchs Gras über den Hügel, unter dem sich der Luftschutzkeller befindet. Das Dorf öffnet sich in dieser Zeit für Kinder aus dem Maghreb.
Anfang der sechziger Jahre wird die Luzerner Strasse asphaltiert, die quer durchs Dorf führt. Das Lehrlingsheim «Maison de la Suisse Romande» ist bezugsbereit. Auch das «Basler Haus» wird fertig gestellt und mit einer Schlosserei ausgestattet.
Kiriat Yearim war das erste Kinderdorf weltweit, welches Mitte der sechziger Jahre die bahnbrechende Lernmethode «Instrumental Enrichment» von Prof. Ruben Feuerstein umsetzte.
Der Lageplan, der jeweils dem Jahresbericht beiliegt, gleicht im Verlauf der siebziger Jahre mehr und mehr demjenigen eines natürlich gewachsenen Dorfes. Mal ist von einer neuen Unterkunft die Rede, ein anderes Mal von einem Neubau, der die Lehrer beherbergt. Es folgen Turnhalle, Garten, Basketballplatz und schliesslich eine Cafeteria.
In den siebziger Jahren wurden auf die Kinderdörfer Ma’alot und Kiriat Schmona Anschläge verübt, bei denen Dutzende von Schülerinnen und Schülern umkamen. In Kiriat Yearim wurden daraufhin die Zäune geflickt und die Wachen verstärkt. Das Tor wurde erneuert und die Aussenbeleuchtung verbessert.
Zu Beginn der neunziger Jahre brach der Golfkrieg aus, Israel verschwand für eineinhalb Monate in den Luftschutzkellern. Im ganzen Land wurden Gasmasken verteilt, auch in Kiriat Yearim. Alle Schulen wurden geschlossen, auch Kiriat Yearim.
Als sich in den neunziger Jahren die Sowjetunion auflöste, kamen zahlreiche jüdische Familien nach Israel, denen bis dahin die Auswanderung untersagt gewesen war. Dies wirkte sich auch auf das Kinderdorf aus.
Sein 60-jähriges Bestehen im Jahre 2011 feierte das Kinderdorf in Israel mit einem grossen Fest, an welchem eine Delegation aus der Schweiz, der Begründer der Lernmethode «Instrumental Enrichment» Prof. Ruben Feuerstein, und Vertreter der israelischen Politik anwesend waren.
Heute stammt die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen im Kinderdorf aus Äthiopien. Die Gebäude werden gemäss einem Masterplan eines nach dem anderen saniert. Als erstes konnte die neue Mensa zu Ehren von Silvain Wyler eröffnet werden. Zur Zeit werden die Strassen und Aussenanlage im Kinderdorf neu asphaltiert und bepflanzt.
Kiriat Yearim – ein Spiegel des Landes
In Israel leben Menschen aus siebzig Ländern. Ein jedes von ihnen hatte schon seinen Vertreter oder seine Vertreterin in Kiriat Yearim. Das Dorf ist ein Sammelbecken von Geschichten, die von Fluchtwegen um die halbe Welt handeln, von Gewalt im Elternhaus, von Vernachlässigung und von Straftaten im Jugendalter.